Gipfel-Stürmer

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Gipfel-Stürmer

Wenn im Herbst der "Böhmische Nebel" aus dem Nordböhmischen Becken aufsteigt und durch die krüppligen Bäume auf dem Erzgebirgskamm zieht, da kann es schon mal passieren, dass man Gespenster zu sehen glaubt.

Viele unserer Vorfahren mussten schon als Kinder auf dem Hof der Eltern hart mitarbeiten. Statt Schulwissen lernten sie vieles über Landwirtschaft und welche wilden Pflanzen essbar sind. Doch viele Erscheinungen der Natur konnten sie sich nicht erklären - sie wussten nicht, wie Blitz und Donner entstehen, warum aus den damals noch häufigen Mooren gelegentlich Methangasblasen aufsteigen und nachts bläulich leuchten können - oder eben: woher der Böhmische Nebel kommt. Kein Wunder, dass unsere Urururgroßeltern nicht nur ganz fest an den lieben Gott, sondern auch an „das Mätzel", "das Wilde Heer", an "die Grüne Frau" und "die Weiße Frau", an Hexen und Reiter ohne Köpfe glaubten. Und weil es ja auch noch keine Fernseher und kaum Bücher gab (die ohnehin nur wenige Leute lesen konnten), wurden solche gespenstigen Ereignisse auch an den langen Winterabenden am Kamin oder beim Spinnen in den Spinnstuben immer wieder erzählt. So entstand die reichhaltige Sagenwelt des Osterzgebirges.

Vielleicht begegnet uns auf unserer heutigen Wanderung auch das eine oder andere scheinbar Unerklärliche in der Natur.

Bevor wir starten, musst du dich entscheiden, wie fit du dich fühlst. Diesmal geht es nämlich an den steilen Südabhang des Erzgebirges. Einfacher ist es natürlich, bergab zu wandern. Doch wie wäre es mit so einem richtigen Gipfel-Sturm auf den Gipfel Stürmer? Der Stürmer (tschechisch: Bournak) ist zwar mit 869 Metern bei weitem nicht der höchste Berg des Ost-Erzgebirges, aber einer der auffälligsten - wegen der Skipisten und des Hotels auf seinem Gipfel genauso wie wegen seiner steilen Flanken.

Also Gipfelstürmer: beginnen wir unsere Wanderung am Fuße des Berges, in der alten Bergbaustadt Klostergrab/Hrob. Deutsche Wanderer können dorthin mit einer abenteuerlichen Bahnfahrt von Moldau /Moldava aus gelangen. Der Bahnhof Moldava befindet sich nur wenige hundert Meter hinter dem Grenzübergang Neurehefeld, aber dorthin kommt man leider nur mit dem Auto (oder dem Fahrrad - etwa 10 km ab Altenberg). Und am Wochenende fahren nur noch wenige Züge auf dieser Strecke. Man kann aber auch mit dem Bus von Altenberg nach Teplitz/ Teplice/ fahren und dort in einen Bus nach Hrob umsteigen.

Ach ja: Überleg noch einmal, ob du genug zu trinken im Rucksack hast für den langen Anstieg, du wirst es brauchen können!

Vom kleinen Bahnhof Hrob geht es gleich ziemlich steil bergan auf dem rot markierten Wanderweg. Zunächst laufen wir auf einem Hohlweg zwischen Holzkoppeln, dann geht es ein bis zwei Kilometer durch meist recht jungen Laubmischwald. Schließlich öffnet sich der Weg zu einer breiten Wiesenschneise. Der Weg führt hier auf einer der längsten Skiabfahrtspisten des östlichen Erzgebirges bergauf. Im Winter ist die Strecke sehr beliebt. Viele Skifahrer jagen dann auch den Wanderweg im Wald weiter bergab, um in Hrob in den Zug zu steigen und wieder hinauf auf den Erzgebirgskamm zu fahren.

Eine Wanderung ist hier besonders im August sehr eindrucksvoll. Nein, nicht nur, weil man unter der Sommersonne bei dem steilen Anstieg besonders gut schwitzen kann. Um diese Jahreszeit blüht herrlich rosarot das Heidekraut, das teilweise als dichter Teppich den Boden der Skistrecke bedeckt. Je näher wir dem Gipfel des Stürmers kommen, umso breiter wird die Piste, bis wir schließlich auf einem breiten Wiesenhang laufen. Nun lohnt es sich auch, nach hinten zu blicken. Bei entsprechendem Wetter eröffnet sich uns mit jedem Höhenmeter eine immer tollere Aussicht auf das Böhmische Mittelgebirge.

Endlich, endlich hast du es geschafft - du bist oben! Vier Kilometer waren das jetzt, aber was für anstrengende Kilometer! Über 500 Höhenmeter stecken jetzt in deinen Beinen. Das ist soviel wie zweimal vom Boden bis zur Spitze des Dresdner Fernsehturmes geklettert. Herzlichen Glückwunsch, Gipfelstürmer!

Nun sieh dich erstmal um: Man erkennt vom Stürmer aus sehr schön, wie das Erzgebirge von Norden her ziemlich flach und allmählich ansteigt, dann aber hier schroff nach Süden abbricht. Warum das so ist, kannst du in der Beschreibung der Radtour zur Station Wieselstein/ Loucna/ nachlesen. Bei klarem Wetter sieht man auf der gegenüberliegenden Seite die Kegelberge des Böhmischen Mittelgebirges/Ceske stredohori. Der größte ist der Milleschauer/Milešovka, der mit 835 m immerhin fast genauso hoch ist wie hier der Stürmer. Dazwischen liegt die weite Ebene des Nordböhmischen Beckens mit der Stadt Teplitz/Teplice. Teplitz war noch vor hundert Jahren eine in ganz Europa berühmte Bäderstadt. Könige und Fürsten kamen hierher zur Kur, aber auch Künstler und Denker wie Johann Wolfgang Goethe, Ludwig van Beethoven oder Richard Wagner besuchten die Heilquellen. Auch heute noch gibt es die Kurbäder, doch mittlerweile prägen vor allem Kohlebergbau und Industriebetriebe die Gegend. Obwohl heute die Luft schon wieder viel besser ist als noch vor zehn Jahren, liegt trotzdem noch immer meist ein zäher Dunstschleier über dem Nordböhmischen Becken.

Ja, und dann gibt es eben noch den Böhmischen Nebel, der aus dem Tal heraufziehen und sich dann wie ein schweres Federbett tagelang über den Erzgebirgskamm legen kann. Vor allem im Herbst und Winter kommt es bei uns öfter zu ruhigen Wetterlagen mit wenig Wind. Ein "stabiles Hochdruckgebiet" nennen das die Meteorologen, die Wetterkundler. Dann "steht" die Luft in der breiten Senke zwischen Erzgebirge und Böhmischen Mittelgebirge. Normalerweise steigt Luft, wenn sie sich über dem Erdboden erwärmt, bis weit hinauf in die Atmosphäre. Bei solchen windarmen, stabilen Wetterlagen kommt dieser Aufstieg aber schon nach wenigen hundert Metern, also irgendwo unterhalb der Erzgebirgsgipfel zum Stehen. Die Wissenschaftler bezeichnen das als Inversion. Und so etwas passiert hier eben ziemlich häufig. Aber irgendwann ist auch die stabilste Schönwetterzeit zu Ende. Dann treibt vom atlantischen Ozean ein Tiefdruckgebiet heran. Das bringt Wind mit sich, der dann hier meist von Süden weht und die aufgestaute, relativ warme Luft deshalb von Süden gegen das Erzgebirge drückt. Die Luft muss dann aufsteigen und kühlt sich dabei ab. Nun ist aber in warmer Luft viel mehr Wasser als gasförmiger (und deshalb unsichtbarer) Wasserdampf gelöst als in kalter Luft. Beim Abkühlen werden aus diesem gasförmigen Wasserdampf Millionen winzige Tröpfchen. Wenn so viele Tröpfchen zusammenkommen, nennen wir das Wolken - oder Nebel. Da dieser Nebel immer aus Böhmen (eine andere Bezeichnung für Tschechien) über den Erzgebirgskamm kommt, nennen ihn die deutschen Osterzgebirgler "Böhmischen Nebel".

Leider stauen sich aber während der windarmen Zeiten im Herbst und Winter nicht nur die normale Luft im Nordböhmischen Becken, sondern auch die ganzen Abgase, die den vielen, vielen Schornsteinen dort entweichen. Daran sind die meisten Fichten des Erzgebirgskammes hier gestorben. Zum Glück arbeiten die meisten Kraftwerke und Industriebetriebe heute inzwischen mit Filteranlagen, die die schlimmsten Schadstoffe zurückhalten.

Vor allem die Fichten waren anfällig gegenüber den Schadstoffen. Deren grüne Nadeln atmen auch im Winter die Gifte ein, wenn die Inversionswetterlagen auftreten und wenn die meiste Kohle verbrannt wird. Die Buchen hingegen halten zu dieser Zeit immer Winterschlaf und haben das damals ganz gut überstanden. Dafür leiden sie heute ganz besonders im Sommer an den immer mehr werdenden Autoabgasen.

So, das soll erstmal genug Wissenschaft für heute gewesen sein. Nach einer ausgiebigen Verschnaufpause auf dem Stürmergipfel wollen wir unsere Wanderung nun fortsetzen. Dazu laufen wir ein Stück den gelb markierten Hauptweg entlang, bis wir zu einem ganz besonderen Naturdenkmal kommen: den "Geisterbuchen am Stürmer". Seit 200 Jahren trotzen diese Geschöpfe immer wieder den heftigen Stürmen am Stürmer und den manchmal fast erdrückenden Schneemassen. Im März 2005 lagen hier über zwei Meter Schnee - übereinander! Da kommen die Buchen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, zumal auch der Boden recht karg ist. Nun stell' dir vor, Nebelfetzen wabbern zwischen den knorrigen Stämmen und Windböen rütteln an den Ästen!

Wenn kein Nebel ist, können wir hier vom Waldrand nach Osten schauen und sehen schon das Ziel unserer Wanderung: Die Wittichbaude/Vitiška am sogenannten Niklasberger Kreuz. Der breite Bergrücken rechts dahinter heißt Bornhauberg/Pramenac und ist mit 909 m die zweithöchste Erhebung des östlichen Erzgebirges.

Gleich hinter der Informationstafel zum Naturschutzgebiet "Buchen am Stürmer/Buky na Bournakou" verlassen wir den Hauptweg und gehen auf einem kleinen Pfad an der Hütte des Bergrettungsdienstes (Horska služba) vorbei, bis wir die Skipiste erreichen, die sich hier als gemähter Streifen in weitem Bogen über die Wiesen von Neustadt/Nove Mesto zieht.

Die allermeisten Bergwiesen des böhmischen Osterzgebirges wurden in den vergangenen 15 Jahren kaum noch gemäht. Eine normale landwirtschaftliche Nutzung lohnt sich hier oben nicht, und staatliche Unterstützung für Naturschutz auf den Bergwiesen gab es in der Tschechischen Republik nicht. Deshalb sind die meisten Wiesen verfilzt und ziemlich artenarm. Doch hier wird für die Skifahrer das Gras gemäht, damit auch bei wenig Schnee nicht irgendwelche holzigen Pflanzenteile die Skier beschädigen. Und tatsächlich: gleich am Wegesrand blüht im Juni hier der Arnika - eine gelbe Bergwiesenblume, die früher mal ziemlich häufig gewesen sein muss. Arnika wächst vor allem auf den heute seltenen, mageren Borstgrasrasen, hier finden wir auch Heidekraut, Heidelbeeren und ebenfalls gelbe Habichtskräuter. Wo der Boden ein klein wenig nährstoffreicher ist, lösen Bärwurz, Alantdistel und Weicher Pippau die Borstgrasrasen ab. In großer Zahl kommt hier auch der Kleine Klappertopf vor.

Nach zweihundert Metern taucht die Skipiste nach links in den Wald ab. Wir laufen auf blau markiertem Weg am Waldrand weiter, bis die Straße Neustadt - Niklasberg /Nove Mesto - Mikulov erreicht ist. Wir überqueren diese und steigen auf dem rot markierten Weg eine kleine Anhöhe hinauf, die Keilberg/Klinovcik heißt.

Hier ist der Erzgebirgskamm, der sich normalerweise als ziemlich breite Hochebene zeigt, auf einen vergleichsweise schmalen Grat zusammengedrückt. Links geht es hinab zur Wilden Weißeritz/Divoka Bystrice (die bei Neustadt/Nove Mesto entspringt), rechts fällt der Niklasberger Hüttengrund mit dem Grundbach/Bourlivec steil nach Süden ab. Unter uns durchquert die Eisenbahn mit einem Tunnel diesen Gebirgssattel.

Nach zweieinhalb Kilometern kommen wir beim Niklasberger Kreuz/Cerveny križ an. Die Bezeichnung bezieht sich sowohl auf die sechs Wege, die sich hier kreuzen, als auch auf das Holzkreuz am Wiesenhang. Durch die großen Masten der Skilifte fällt dieses aber kaum noch auf. Der steile Abfahrtshang ist im Winter sehr beliebt. Uns Wanderern bietet sich stattdessen hier wieder eine sehr schöne Aussicht, unter anderem auf den Stürmer/Bournak, von dem wir soeben herkommen.

Am Niklasberger Kreuz befinden sich zwei Bergbauden. Eine davon ist die Wittichbaude/Vitiška. Hier findest du die Informationstafel mit der im Uhuspiel gesuchten Sage. Herzlichen Glückwunsch, diesen Stempel auf der Ulli-Karte hast du dir wirklich gründlich verdient. Während der wohlverdienten Ruhepause kannst du dir ja noch ein paar andere Sagen durchlesen oder vorlesen lassen.

Der zauberkundige Wilddieb

Um den Stürmer trieb einst ein Wilddieb sein Unwesen, der konnte sich und andere Dinge in jede beliebige Gestalt verwandeln. Einst hatte er einen Hirsch geschossen, als er von fern einen Jägerburschen kommen sah. Flugs verwandelte er den Hirsch in einen Busch und sich selbst in einen Holzklotz. Der Jägerbursche trat heran und machte es sich auf dem Holzklotz bequem und schnitt auf der glatten Oberfläche eine Rolle Tabak klein. Und gerade an der Stelle, wo er am derbsten schnitt, war der Kopf des verzauberten Wilddiebes, der sich nicht rühren durfte. Sooft jener dieses Abenteuer erzählte, fügte er hinzu: „Da hab' ich aber die Zähn' müssen zambeißn.“

nach einer Sage aus dem „Sagenbuch des Erzgebirges“ Altis-Verl.1995

Doch nun musst du doch noch mal 2,5 km wandern, um an den Ausgangspunkt zurückzukommen. Der rot markierte Wanderweg führt hinab ins Tal der Wilden Weißeritz/ Divoka Bystrice. Nach einer Weile kommt eine Wegkreuzung mit einem uralten Holzwegweiser. Außerdem informiert eine Tafel über den Wald des Osterzgebirges, eine andere Tafel erklärt uns, dass hier ganz früher mal eine Glashütte gestanden haben muss. Zur Glasherstellung hat man im Mittelalter gewaltige Mengen Holz benötigt. Weil das Holz aber auch für den Bergbau wichtig war, mussten die Glasmacher immer weiter in die entlegenen Ecken des Erzgebirgskammes ziehen. Hier im Gebiet um Moldau /Moldava hat sich das alte Handwerk der Glasherstellung noch ziemlich lange gehalten.

Nach links gibt es eine Abkürzung zur Bahnstation Nové Mesto (etwa 600 m), was sich aber nur lohnt, wenn gerade ein Zug kommt. Um nach Moldau/Moldava oder Neurehefeld zurückzukehren, müssen wir nun dem gelb markierten Weg folgen. Das letzte Stück geht es dann entlang der Eisenbahnschienen bis zum Bahnhof .

Bis vor 50 Jahren war das hier eine sehr wichtige Bahnverbindung zwischen Tschechien und Sachsen. Jeden Tag schnauften kräftige Dampflokomotiven mit schwer beladenen Kohlewaggons aus dem Nordböhmischen Becken hinauf auf den Erzgebirgskamm, um ab Moldau/Moldava das Muldental hinabzufahren und ihre schwarze Fracht in die Industriestadt Freiberg zu bringen. Nach dem Krieg wurde die Strecke aber an der Grenze unterbrochen, und so ist es noch heute. Vor Freiberg fährt die Muldentalbahn bis Holzhau, und von Brüx/Most führt die Moldauer Eisenbahn hier über Leutensdorf/Litvinov und Eichwald/Dubi bis fast an die Grenze. Die Fahrt ist ziemlich aufregend und führt über abenteuerlich hohe Brücken. Die technische Erhaltung des Bauwerkes ist offenbar ziemlich aufwendig, und so drohte schon mehrmals die Schließung. Dagegen hilft nur eines: oft die Eisenbahn benutzen und Ausflüge ins schöne Nordböhmen unternehmen! Es gibt auch einen tschechischen Eisenbahnclub (Klub Prátel Krušnohorské Železnice), der sich für diese Strecke einsetzt (web.quick.cz/moldava-draha - leider nur auf tschechisch).

Uff, das war eine ganz schön lange und anstrengende Wanderung! Du kannst natürlich auch in umgekehrter Richtung laufen, bergab geht's schließlich einfacher. Deshalb hier noch einmal kurz und knapp die Wegbeschreibung von Moldava nach Hrob:
Grenzübergang Neurehefeld - Bahnhof Moldava (300 m, leicht bergab)
Bahnhof Moldava - Vitiška-Baude/Niklasberger Kreuz: erste gelbe Markierung leicht bergab, dann rote Markierung bergauf (2,5 km)
Vitiška - Stürmer/Bournak: rote Markierung leicht bergauf und bergab, nach Überquerung der Straße blaue Markierung am Waldrand und entlang Skipiste leicht bergauf (2,5 km)
Stürmer/Bournak - Klostergrab/Hrob: rote Markierung, steil bergab (4 km)

Gezeichnete Wanderkarte